Beatrix Mittermann
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Ein Streben nach Perfektion ist eine Eigenschaft, die viele von uns teilen. Ob es darum geht, in unserer Arbeit, unseren Beziehungen oder unseren persönlichen Bestrebungen hervorzustechen, die Sehnsucht nach makelloser Leistung kann ein treibender Faktor sein. Doch was, wenn dieses Streben übermäßig wird? Was, wenn der Wunsch nach Perfektion uns eher einschränkt als unterstützt? In diesem Artikel werden wir die Frage stellen: Bist du ein Perfektionist? Und noch wichtiger, wie kannst du lernen, dein perfektionistisches Verhalten abzulegen und ein gesünderes Gleichgewicht zu finden?
Unter Perfektionismus versteht man das Streben nach Fehlerlosigkeit und das Setzen sehr hoher Ziele. Während übertriebener Perfektionismus zu Selbstabwertung und organisatorischem Stillstand führen kann, ist hohe Gewissenhaftigkeit eine wünschenswerte Eigenschaft, weil dadurch sehr gute Ergebnisse erzielt werden.
Für perfektionistisches Verhalten gibt es zahlreiche Synonyme wie beispielsweise akribisch (genau), detailverliebt bzw. detailbesessen, übergenau, sorgfältig, minutiös, aber auch pingelig und penibel. Als Gegenteil von Perfektionismus kann Unvollkommenheit oder Durchschnittlichkeit genannt werden. Im Englischen wird grundsätzlich dasselbe Wort verwendet: „perfectionism“ bzw. als Person „perfectionist“.
In der Psychologie wird oft die Schattenseite des Perfektionismus betrachtet, also der dysfunktionale Perfektionismus. Denn, wer sich zu hohe Ziele setzt und daran sehr große Erwartungen knüpft, kann sehr schnell in einen Negativkreislauf von Versagensangst und innerem Druck geraten.
Grundsätzlich kann Perfektionismus bei allen auftreten. Dennoch gibt es Personen, die mehr dazu neigen als andere. Wer beispielsweise eine Tendenz zu Selbstoptimierung hat oder immer allen gefallen möchte, legt häufig perfektionistisches Verhalten an den Tag. Ebenso Personen, die hohe Ambitionen haben oder die sich ein hohes Karriereziel gesteckt haben, das sie unbedingt erreichen möchten.
Perfektionisten haben in vielen Fällen bereits in der Kindheit gelernt, dass es wichtig ist, alles bestmöglich, demnach fehlerfrei, zu erledigen. Dieses Verhalten führen sie oft auch im Erwachsenenalter fort.
Eine gesunde Portion Perfektionismus ist auf jeden Fall etwas Gutes. Denn grundsätzlich spricht ja nichts dagegen, sich Ziele zu setzen und hohe Standards an sich selbst zu richten, um im Leben voranzukommen, die Karriereleiter hinaufzuklettern und in den unterschiedlichsten Bereichen einen positiven Beitrag zu leisten.
Man muss jedoch zwischen funktionalem und dysfunktionalem Perfektionismus unterscheiden.
Dieser zeichnet sich dadurch aus, dass das Verhalten nichts Krampfhaftes an sich hat. Man setzt sich zwar hohe Ziele und feiert seine Erfolge, aber wenn diese doch nicht ganz erreicht werden oder etwas dazwischenkommt und adaptiert werden muss, ist das kein Weltuntergang.
Funktionale Perfektionisten leben demnach eine gesunde Fehlerkultur, wachsen stets über sich selbst hinaus und verurteilen sich nicht, wenn am Weg zum Ziel Fehler passieren.
Perfektionismus hat viele positive Aspekte, sofern man die Schattenseite überwindet. Damit meinen wir den dysfunktionalen Perfektionismus, der vorhin schon kurz angesprochen wurde. Wenn das Ziel nicht mehr darin besteht, Aufgaben bestmöglich zu erledigen, um dadurch Erfolge zu erzielen, sondern eine krampfhafte Haltung entsteht, kippt Perfektionismus ins Negative.
Dysfunktionale Perfektionisten definieren sich über Erfolge und leiden oft unter einem geringen Selbstwert. Sie werten sich oft bereits bei kleinen Misserfolgen ab und stellen an sich selbst unerfüllbare Erwartungen. Das äußert sich durch enormen inneren Druck, Stress, einer zwanghaften Fehlervermeidung sowie Versagensangst.
Eine gesteigerte Form des dysfunktionalen Perfektionismus ist das Imposter-Syndrom. Dieses äußert sich nicht nur durch Perfektionismus und Überkompensation, sondern auch durch fehlendes Selbstbewusstsein, negative Glaubenssätze, Distanz zum eigenen Team und die Unfähigkeit, Komplimente anzunehmen.
Wie du diese Art des Perfektionismus überwindest, erfährst du weiter unten im Artikel.
Perfektionismus kann sich in unterschiedlichen Formen zeigen und durch verschiedene Verhaltensmuster äußern:
Perfektionistisches Verhalten kann sich grundsätzlich in allen Lebensbereichen zeigen. Oftmals zeigt sie sich aber auch im Job und äußert sich dadurch, dass man Aufgaben bestmöglich erledigen und alle (Vorgesetzte, Kolleg*innen, Kund*innen, Lieferant*innen, etc.) zufriedenstellen möchte.
Dahinter steht oftmals eine gewisse Versagensangst oder die Angst davor, den Job zu verlieren, wenn man nicht das Gewünschte und Geforderte abliefern kann. Das kann auch dazu führen, dass Menschen zu Workaholics werden, die Aufgaben nicht delegieren können, alles selbst und perfekt machen zu wollen und daher zahlreiche Überstunden einlegen, um dieses Ziel zu erreichen.
Während eine gesunde Portion Perfektionismus sehr positiv ist und Arbeitnehmer*innen dazu anspornt, gute Ergebnisse zu erzielen und Karriere im Beruf zu machen, kann zu viel davon zu Stress, Überforderung und limitierten Karrierechancen führen.
Denn, wenn die Work-Life-Balance auf Grund des perfektionistischen Verhaltens aus dem Gleichgewicht gerät, die Arbeit immer mehr Zeit in Anspruch nimmt und das Privatleben zurückdrängt, fehlen Ruhe- und Erholungsphasen bzw. Entschleunigung. Auf Dauer kratzt das an der Resilienz und kann zu Overthinking, Krankheiten bzw. Dauerstress führen, der im schlimmsten Fall im Burnout endet.
Gerade Expert*innen, die die erste Führungsposition anstreben oder „junge“ Führungskräfte sollten nicht den Fehler machen, auf Grund von Perfektionismus alles selbst zu machen. Das Setzen von Prioritäten und Delegieren sind essenzielle Fähigkeiten, deren sie sich bedienen müssen.
Die Ursachen von Perfektionismus sind mindestens genauso vielfältig, wie dessen Entwicklung.
Bei den einen entsteht Perfektionismus bereits in der Kindheit, wenn die Eltern bzw. wichtige Bezugspersonen durch ihre Erziehung perfektionistisches Verhalten bei ihren Kindern hervorrufen. Dies geschieht meist unbewusst, da Kinder versuchen, es ihren Eltern immer recht zu machen und mit der Zeit lernen, welches Verhalten dazu führt, dass sie bekommen, was sie möchten.
Eine weitere Ursache können Umweltfaktoren sein, je nachdem welche kulturellen und sozialen Einflussfaktoren im Laufe des Lebens auf einen einprasseln. Zudem muss auch gesagt werden, dass gesamtgesellschaftlich in unseren Kulturkreisen eine sehr geringe Fehlertoleranz herrscht und sich erst nach und nach ein neues Mindset etabliert, das Fehler als eine Chance versteht, etwas dazuzulernen.
Wenn du dich jetzt fragst, ob du ein Perfektionist bist, kann dir der folgende Test dabei helfen, das herauszufinden. Beantworte die folgenden 20 Fragen so ehrlich wie möglich und erkenne, ob du ein Perfektionist bist:
Auswertung: Je öfter du die insgesamt 20 Fragen mit „ja“ beantwortet hast, desto stärker ist deine perfektionistische Ader ausgeprägt.
Wenn du zu perfektionistischem Verhalten neigst, gibt es unterschiedliche Möglichkeiten, damit umzugehen bzw. diesen abzulegen. Die folgenden Tipps helfen dir, deinen Perfektionismus loszulassen:
Perfektionisten beschäftigen sich häufig damit, was alles noch nicht so gut läuft oder wo sie sich noch verbessern müssen. Ebenso gibt es oftmals einen starken Fokus auf Fehler. Hierbei kann es helfen, sich seine Erfolge regelmäßig vor Augen zu führen.
Setz dich einfach mal hin und schreib auf, in welchen Situationen du Erfolge verzeichnest. Was ist dir gut gelungen? Was hat super funktioniert? Diese Liste solltest du dir irgendwo aufhängen, wo du oft draufblickst, um dich immer wieder daran zu erinnern.
Fällt dir das schwer, beginne damit, ein „Erfolgstagebuch“ zu führen. Dies funktioniert ähnlich wie ein Dankbarkeitstagebuch – nur, dass du hier nicht täglich drei Dinge notierst, für die du dankbar bist, sondern eben drei Dinge, die du an diesem Tag gut geschafft hast.
Ebenso wichtig, wie sich Erfolge vor Augen zu führen, ist es, diese auch zu feiern. Wie du das machen möchtest, bleibt dir überlassen. Du kannst dies zusammen mit anderen tun oder auch einfach nur für dich.
Überlege dir, wie du dich belohnst. Das kann ein leckeres Essen, ein Gläschen guter Wein, ein Shopping-Trip, ein Relax-Abend, eine Massage, ein guter Tee oder etwas Anderes sein, das dich glücklich macht.
Für Perfektionisten ist es schwierig, Fehler oder Rückschläge einzustecken. Daran zu arbeiten, kann ebenfalls helfen, den Perfektionismus zu überwinden. Wie du das tun kannst?
Schnapp dir ein Blatt Papier und teile dieses in zwei Spalten. Notiere dir in der linken Spalte Fehler, die dir unterlaufen sind oder Situationen, in denen du Rückschläge hinnehmen musstest. In der rechten Spalte kannst du dann darüber nachdenken, was dir diese Fehler gebracht haben: Hast du etwas daraus gelernt? Bist du daran gewachsen? Hat sich dadurch vielleicht etwas Interessantes ergeben? War es vielleicht sogar gut, dass dieser Fehler passiert ist, weil du sonst keinen neuen Lösungsansatz entdeckt hättest?
Was es auch ist, notiere es dir. Dann fällt es dir in Zukunft bestimmt auch leichter, deine Fehler zu akzeptieren und als Chance zu verstehen.
Ein wichtiger Schritt beim Ablegen des Perfektionismus ist es, nicht alle Aufgaben immer an sich zu reißen, um sie selbst bestmöglich ausführen zu können. Durch das Delegieren von Teilaufgaben übst du, ein Stück Kontrolle abzugeben und darauf zu vertrauen, dass andere das genauso gut machen wie du.
Du lernst dabei, damit umzugehen, wenn das Ergebnis ein anderes ist, als es bei dir gewesen wäre. Das erfordert einiges an innerer Stärke und Ruhe, kann aber auch dazu führen, Stress abzubauen, Entschleunigung zu finden und mal wieder zu einer humanen Uhrzeit in den Feierabend zu starten.
Für den Anfang kann das Loslassen noch sehr schwierig sein. Hier helfen klare Grenzen dabei, dich langsam vom Perfektionismus wegzubewegen. Das bedeutet: öfter mal Nein sagen und auch fixe Zeiten festlegen, wann du mit der Arbeit aufhörst. Auch dann wird es immer noch Notfälle geben, in denen du diese Zeiten nicht einhalten kannst, aber die sollten lediglich die Ausnahme sein, nicht die Regel. So schaffst du schon mal eine zeitliche Abgrenzung, die einen klaren Bruch zwischen Arbeitszeit und Freizeit bedeutet.
Auch gedanklich musst du eine klare Grenze ziehen, damit du die Arbeit nicht mit nach Hause nimmst und noch Stunden danach daran denkst, wie du ein gewisses Problem lösen kannst. Teile dir Aktivitäten ein, bei denen du gut abschalten kannst. Das kann Sport sein, ein Treffen mit Freunden, Familienzeit oder ein neues Hobby, auf das du dich freust, etc.
Prototyping ist ein Prozess, innerhalb dessen ein Prototyp entwickelt wird. Ein Prototyp ist nie von Anfang an perfekt, sondern wird iterativ weiterentwickelt. Prototyping ermöglicht es Perfektionist*innen ihre Fehlertoleranz zu erhöhen und zumindest zeitweise mit „Unfertigem“ zu arbeiten, um dadurch Neues zu entwickeln.
Wenn du von Perfektionismus betroffen bist, solltest du über folgende Glaubenssätze reflektieren:
Gehe in dich und beantworte folgende Fragen:
Beispiel für einen überarbeiteten Glaubenssatz:
z.B.: „Ich bin nur wertvoll, wenn ich perfekte Ergebnisse erziele“ wird zu
Ich wertschätze mich in jeder Situation, unabhängig von meiner Leistung.
Diese Vorgehensweise kannst du auf beliebig viele andere Glaubenssätze anwenden.
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