Eine Frau macht mit ihren Armen das Equal Pay Zeichen.

Die positive Nachricht zuerst – der Gender-Pay-Gap wird kleiner. Allerdings so langsam, dass wir uns gefragt haben: Sind wir auf dem richtigen Weg oder erleben wir hier quasi eine Art Stagnation mit leichten Schwankungen? Wo liegen die Ursachen für das vermeintliche Schneckentempo? Oder fehlen uns etwa immer noch die richtigen Lösungsansätze? Antworten auf diese Fragen erhoffen wir uns von der Wirtschafts- und Finanzexpertin Henrike von Platen, die sich seit Jahren aktiv für geschlechtergerechte Bezahlung einsetzt. Ihr erklärtes Ziel: „Faire Bezahlung für alle“. Im Interview sprechen wir mit ihr zu möglichen Lösungsansätzen und sie verrät uns, wie wir nicht nur beruflich, sondern auch privat gegen den Gender-Pay-Gap vorgehen können.

Über Henrike von Platen

Henrike von Platen

Henrike von Platen gründete 2017 das FPI Fair Pay Innovation Lab, das Unternehmen bei der Umsetzung von fairer Bezahlung unterstützt und weltweit mit dem Universal Fair Pay Check zertifiziert. Die mehrfach ausgezeichnete Hochschulrätin und Dozentin sorgt für den Best-Practice-Austausch zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Politik, war als Präsidentin der Business and Professional Women viele Jahre Schirmherrin der deutschen Equal-Pay-Day-Kampagne und ist Autorin des Buches „Über Geld spricht man“.

"Faire Bezahlung ist kein Hexenwerk"

Frau von Platen, Sie bezeichnen sich selbst als “FairPayistin” und setzen sich als Gründerin & Geschäftsführerin des Fair Pay Innovation Labs (FPI) aktiv für Chancengleichheit ein. Woher kommt dieses Engagement? Gab es ein Schlüsselerlebnis in Ihrer (beruflichen) Laufbahn, das den Fokus auf dieses wichtige Thema verstärkt hat?

Nichts im Leben gibt dir so viel Freiheit wie wirtschaftliche Unabhängigkeit! Ich selbst habe als Kind einer alleinerziehenden Mutter früh gelernt, finanzielle Ziele zu erreichen – schon als Siebenjährige habe ich einen Flug von Deutschland nach Japan mit meinem Ersparten selbst bezahlt und in der Wäscherei meiner Großmutter ein Knopfgeschäft betrieben. Meine Beschäftigung mit dem Thema Finanzen begann also, bevor ich zu meiner Verwunderung lernte, dass Frauen und Geld angeblich gar nicht zusammengehören. Diesen Mythos möchte ich endlich entkräftigen.

Zumindest, wenn man einen Blick auf den Gender-Pay-Gap wirft, scheint sich dieser Mythos aber leider immer noch zu halten. Zwar wird die Lücke kleiner, allerdings nur sehr langsam. In den vergangenen 10 Jahren konnte der Gap nach Angaben des Statistischen Bundesamtes um lediglich 5 Prozentpunkte verringert werden (von 23 % im Jahr 2012 auf 18 % im Jahr 2021). Was sind die Hauptgründe für diese langsame Entwicklung?

Die gute Nachricht: Inzwischen stimmt die Richtung, 2019 sind wir erstmals unter die Marke von 20 % gerutscht – ein Meilenstein! Von nun an wird es schneller gehen, wir werden diesen Beschleunigungseffekt schon bald an der Statistik ablesen können. Während im Jahrzehnt zwischen 2000 und 2010 noch diskutiert wurde, ob es überhaupt eine Lohnlücke gibt, wurden zwischen 2010 und 2020 quasi jährlich Maßnahmen wie das Entgelttransparenzgesetz oder Frauenquoten beschlossen und umgesetzt. Manche Maßnahmen greifen schnell, andere langsam, aber jede von ihnen beschleunigt den Prozess. In welchem Ausmaß können wir immer erst mit Verzögerung an der Statistik ablesen. Hinzu kommt, dass die jährliche Berechnung im Grunde immer auf den Zahlen von vor fünf Jahren basiert und sich zudem auf Hochrechnungen stützt. Die detaillierte Verdienststrukturerhebung wird alle vier Jahre durchgeführt und die Auswertung der Daten dauert 18 Monate. Ich nehme gern Wetten entgegen, dass der Gender-Pay-Gap längst viel kleiner ist, als wir annehmen!

Das sind positive Nachrichten. Aber auch, wenn wir uns in die richtige Richtung bewegen, gibt es in puncto geschlechterspezifische Lohnungleichheit noch viel zu tun. Welche konkreten Ziele haben Sie sich für die Zukunft in Bezug auf die Schließung des Gender-Pay-Gaps gesetzt?

Ich habe ein sehr klares Ziel: Lohngerechtigkeit für jeden einzelnen Menschen, in jedem Land und in jedem Unternehmen weltweit. Dafür bin ich mit Gründung des Fair Pay Innovation Labs angetreten. Denn faire Bezahlung ist kein Hexenwerk!

Mit dem Fair Pay Innovation Lab unterstützen Sie insbesondere Unternehmen in Sachen Chancengengleichheit. Was können Unternehmen denn aktiv gegen den Gender-Pay-Gap tun?

Sie können ihn schließen! Im ersten Schritt können Unternehmerinnen, Unternehmer oder Führungskräfte die Entgeltstrukturen analysieren, im zweiten die Gehälter anpassen und im dritten ein transparentes, faires Regelwerk schaffen, um zu verhindern, dass ungerechtfertigte Lohnlücken erneut aufklaffen. Um Unternehmen genau dabei zu unterstützen, haben wir unsere Zertifizierung entwickelt, den Universal Fair Pay Check, der auch Orientierung im Maßnahmendschungel bietet. Denn Maßnahmen auf dem Weg zu Lohngleichheit gibt es viele:

Es gibt sehr viele Möglichkeiten, Verantwortung zu übernehmen und einfach schon mal loszulegen, anstatt auf schärfere Gesetze zu warten – die so oder so kommen werden. Je eher Unternehmen sich darauf vorbereiten, desto leichter wird es sein, die gesetzlichen Vorgaben zu erfüllen, sobald sie in Kraft treten.

Einfach mal loslegen ist ein gutes Stichwort: Bestimmt gilt das nicht nur für Unternehmen, sondern auch für jede*n Einzelne*n. Was können wir als Arbeitnehmer*innen denn konkret tun, um den Gender-Pay-Gap weiter zu schließen?

Beschäftigte können den ersten Schritt machen, indem sie über Geld sprechen, zum Beispiel Kolleginnen und Kollegen nach dem Gehalt fragen. Sie können auch den gesetzlichen Auskunftsanspruch nutzen oder bei ihren Vorgesetzten oder in der Personalabteilung nachfragen, nach welchen Kriterien sich das eigene Gehalt eigentlich zusammensetzt. Das allein kann Anstoß geben, die Entgeltstrukturen zu analysieren und ein faires, transparentes Regelwerk zu schaffen. Für Vorstellungsgespräche und Gehaltsverhandlungen ist es gut, sich bestmöglich über branchen- und unternehmensübliche Gehälter zu informieren – entweder im Gespräch mit Verwandten, Freund*innen und Kolleg*innen oder anonym auf Transparenzportalen wie Gehalt.de oder bei StepStone. Was meines Erachtens wenig hilft, ist, das Problem mit dem Besuch eines Verhandlungsseminars lösen zu wollen. Viel wichtiger ist es, im eigenen Umfeld und Unternehmen über Geld zu sprechen und die Umsetzung von fairer Bezahlung einzufordern.

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Klischees sind sehr wirkmächtig. Und sie sind überall präsent.

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Und wie können wir auch im Privatleben aktiv gegen den Gender-Pay-Gap vorgehen?

Im Privaten ist es ratsam, bei der Familiengründung schon vor der Elternzeit schriftlich festzuhalten, wie Erwerbs- und Familienarbeit aufgeteilt werden sollen und am besten auch gleich vertraglich aufzusetzen, wie Einkommens-, Renten- und Vermögensverluste in Erziehungs- und Pflegezeiten ausgeglichen werden sollen. Darüber hinaus können Eltern mit gutem Beispiel vorangehen und ihren Kindern vorleben, wie eine partnerschaftliche Aufteilung von Erwerbs- und Familienarbeit aussehen kann.

Übrigens fängt der Gender-Pay-Gap schon beim Taschengeld an – auch darauf können Eltern achten. Idealerweise fördern sie ihre Kinder außerdem unabhängig vom Geschlecht nach Talenten und Interessen und erklären ihnen, dass jeder Junge Grundschullehrer und jedes Mädchen Astronautin werden kann, wenn es das will. Wenn wir alle die Klischees im eigenen Kopf möglichst oft hinterfragen, selbst all die Stereotype beim Sprechen und im Handeln vermeiden und dann auch noch so oft wie möglich über Geld sprechen, ist sehr viel gewonnen.

Zwei Frauen überqueren mit Kaffee-Bechern die Straße.
Wenn wir regelmäßig über Gehälter und andere Finanzthemen sprechen, trägt dies aktiv zur Schließung des Gender-Pay-Gaps bei. © Addictive Stock Creatives

 

Das heißt, auch veraltete Rollenbilder und Klischees spielen immer noch eine Rolle beim Gender-Pay-Gap?

Klischees sind sehr wirkmächtig. Und sie sind überall präsent: Noch immer sehen wir in der Werbung viel zu oft den Entscheider mit Hut, Krawatte und Macht und die fürsorglich lächelnde Mutti in Kittelschürze. Fatalerweise werden die rückschrittlichen Rollenbilder in den Medien und in der Werbung immer weiter reproduziert: Die Ehefrau, die sich zu Hause um die Kinder und den Haushalt kümmert, und ihr Gatte, der die Familie allein ernährt, leben bis heute nicht nur im Ehegattensplitting des deutschen Steuersystems, sondern auch in der Pudding-Werbung weiter. Grillende Männer bevölkern Bier-Werbespots und fahren schnelle Autos, Frauen kreischen hysterisch im Online-Shopping-Himmel oder werben leichtbekleidet für Bohrmaschinen und Teppichauslegeware. Und die realen Bilder aus Wirtschaft und Politik sind nicht sehr viel besser. Die britische Regierung etwa hat aus diesem Grund genderstereotype Werbung verboten. Wir müssen mit Stereotypen brechen – und zwar von Kindesbeinen an.

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Wir haben Jahrzehnte damit verschwendet, anzuerkennen, dass es überhaupt ein Problem gibt!

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An konkreten Lösungsvorschlägen und aktiven Handlungsempfehlungen für Unternehmen und Privatpersonen mangelt es also nicht. Trotzdem scheint es so, dass im Großen aktuell immer noch nicht aktiv bzw. genug gegen die Gründe und Ursachen vorgegangen und die Ursachenbekämpfung vorangetrieben wird. Woran liegt das?

Wir haben Jahrzehnte damit verschwendet, anzuerkennen, dass es überhaupt ein Problem gibt! Bis vor kurzem wurde den Aktivistinnen am Equal Pay Day vorgeworfen, sie könnten nicht rechnen oder würden sich anstellen, die Lohnlücke wäre in Wahrheit viel kleiner oder gar nicht existent. Die Ablenkungsmanöver der Lohnlückenleugner haben bedauerlicherweise über einen sehr langen Zeitraum sehr gut funktioniert. Dass der Missstand erstens anerkannt wird und man ihn zweitens aus der Welt schaffen möchte, ist relativ neu – wir nähern uns der wirksamen Ursachenbekämpfung.

Stichwort wirksame Ursachenbekämpfung: Auch das Entgelttransparenzgesetz soll den Weg für eine gerechte Bezahlung weiter ebnen. Von diesem hat bis dato allerdings nur eine Minderheit (2 %) der Arbeitnehmer*innen in Deutschland Gebrauch gemacht – warum ist das so?

Das Entgelttransparenzgesetz ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zur Lohngerechtigkeit. Nur erstens gilt es nur für Unternehmen ab einer bestimmten Größe, zweitens muss sich die oder der einzelne Beschäftigte selbst darum kümmern, den Auskunftsanspruch umzusetzen, und drittens sind keinerlei Sanktionen für Unternehmen vorgesehen, die unfair bezahlen. Wenn Beschäftigte eine Auskunft erhalten, heißt das noch lange nicht, dass ihr Gehalt angepasst wird, im Zweifel müssen sie eine Gehaltsanpassung einklagen. Es ist also kein Wunder, dass der Anspruch nur in knapp zehn Prozent der befragten Unternehmen überhaupt genutzt wurde und nur in jedem siebten Fall eine Gehaltsanpassung daraus resultiert ist.

Am besten wäre es, das Gesetz nach internationalem Vorbild nachzubessern. Einzig in Deutschland liegt die Verantwortung bei den Beschäftigten selbst. Die Frage sollte nicht lauten: »Werde ich als Einzelperson ungerecht bezahlt?« Die Frage sollte lauten: »Erfüllt das Unternehmen seine Pflicht, alle Beschäftigten gerecht zu bezahlen?« Die gesetzliche Beweislast gehört umgekehrt, wie in Großbritannien, Island oder Frankreich, und es braucht Sanktionen, die den Unternehmen einen spürbaren finanziellen Anreiz bieten, ihrer Pflicht nachzukommen. Zum Glück hat die EU Ende 2022 eine entsprechende Direktive auf den Weg gebracht, die hoffentlich auch bald für deutsche Unternehmen gilt.

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Elternschaft verstärkt Ungleichheiten, durch die Elternzeit der Väter wird sie reduziert.

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Doch nicht nur beim Entgelttransparenzgesetz, auch in puncto Partnermonate beim Elterngeld scheint Deutschland noch Nachholbedarf zu haben: Eltern bekommen zwei zusätzliche Monate zum Basiselterngeld, wenn beide Elternteile Elterngeld beantragen. Die insgesamt 14 Monate können sie nach ihren Wünschen untereinander aufteilen. Häufig nehmen Väter jedoch lediglich die zwei Zusatzmonate und Mütter den Rest – warum ist das so? Und sind die Partnermonate so wirklich ein sinnvoller Hebel für die Schließung des Gender-Pay-Gaps

Auch hier setzt das deutsche Gesetz die falschen Anreize! In Island beispielsweise wurde die Elternzeit sehr wirksam als Gleichstellungsmaßnahme umgesetzt: Die Elternzeit muss paritätisch zwischen beiden Elternteilen aufgeteilt werden. Im Gegensatz zum deutschen Modell, wo von insgesamt vierzehn möglichen Elternzeit-Monaten zwei Monate verfallen, wenn eines der Elternteile (meist der Mann) keine Elternzeit nimmt, haben in Island beide Elternteile exakt das gleiche Anrecht, das gleichermaßen verfällt, wenn es nicht in Anspruch genommen wird. Das Ergebnis: Neun von zehn isländischen Vätern gehen in Elternzeit.

In Deutschland sind es weniger als vier von zehn Vätern, und die bleiben im Schnitt 3,1 Monate zu Hause – also meist gemeinsam mit ihrer Partnerin zwei Monate beim Kind. Nicht selten wird dann gemeinsam eine – streng genommen über Steuergelder subventionierte – längere Reise unternommen (oder ein Buch über Vaterschaft oder die eigene Kindheit geschrieben). Das kommt vor allem Paaren mit einem relativ hohen Einkommen zugute, die sich das leisten können. In Island hingegen bleiben die Väter tatsächlich allein mit ihren Kindern zu Hause und reduzieren im Anschluss oft ihre Arbeitszeiten. Auch in Deutschland reduzieren Väter, die mit ihren Kindern allein zu Hause waren, ihre wöchentliche Arbeitszeit nach der Elternzeit um durchschnittlich vier Stunden.
Elternschaft verstärkt Ungleichheiten, durch die Elternzeit der Väter wird sie reduziert. Und je gleichmäßiger sich Paare die Familienarbeit aufteilen, je mehr Väter nicht nur beruflich, sondern auch privat Verantwortung übernehmen, desto weniger wird übrigens das Geschlecht im Bewerbungsprozess in Zukunft noch eine Rolle spielen.

Der Corona-Pandemie wird nachgesagt, dass sie geschlechterspezifische Ungleichheiten in der Elternschaft noch einmal verstärkt hat. Hat sich die Pandemie demnach auch negativ auf den Gender-Pay-Gap ausgewirkt?

Dass die Pandemie uns um Jahrzehnte zurückkatapultiert hat, stimmt nicht – aber sie hat wie unter einem Brennglas sichtbar gemacht, wie wenig weit wir in Sachen Gleichstellung in Deutschland seit den 1950ern gekommen sind. Zu Beginn der Pandemie waren es überwiegend die Mütter, die im Home-Schooling bei den Kindern geblieben sind, die keine weiteren Karriereschritte gehen konnten oder kündigen mussten, die in den Medien nicht mehr präsent waren und auch keine wissenschaftlichen Papiere mehr einreichen konnten. Wir haben aber auch gesehen: Paare, die Care-Arbeit schon vor der Pandemie gleichberechtigt aufgeteilt haben, haben das genauso auch während der Pandemie beibehalten. Welche Folgen das Zurückstecken der Frauen in den Familien mit traditioneller Rollenverteilung hatte, werden wir erst später genau an der Statistik ablesen können.

Zusammenfassend scheint es, als wären wir bzgl. der Schließung des Gender-Pay-Gaps auf dem richtigen Weg. Wenn wir jetzt einen Blick in die Glaskugel werfen: Wo sehen Sie uns in 10 Jahren?

Viel entscheidender ist die Frage: Wie schaffen wir es, den Gender-Pay-Gap innerhalb der nächsten drei Jahre weltweit zu schließen? Denn das ist die Voraussetzung, um alle anderen Nachhaltigkeitsziele der Vereinten Nationen zu erreichen. Uns bleibt nicht mehr viel Zeit, um die Agenda 2030 umzusetzen!

Wir bedanken uns für das Gespräch.

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