Julia Hackober
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Wann gilt man in Deutschland als reich? Vielleicht hast du dir diese Frage auch schon mal gestellt. Immerhin kursieren im Netz verschiedenste Theorien darüber, mit welchem Einkommen man sich in Deutschland zur Oberschicht zählen kann. Ökonom und Vermögensforscher Dr. Jan Schulz-Gebhard von der Universität Bamberg erklärt im Interview, welche Definition in Deutschland für Reichtum gilt, welche Faktoren darüber entscheiden, wie reich man sich subjektiv fühlt – und warum finanzielle Unabhängigkeit so wichtig für die individuelle Lebensgestaltung ist.
Zunächst muss man zwischen Einkommen und Vermögen unterscheiden. In der öffentlichen Debatte werden die Begriffe häufig vermischt, weil Einkommen viel näher an der Lebensrealität der Mehrheit der Bevölkerung ist, die über kaum eigenes Vermögen verfügt. Vermögen ist allerdings sehr viel ungleicher verteilt als Einkommen – und oft zeigt sich Reichtum an Vermögen nicht im Einkommen der Superreichen, weil beispielsweise aus Steuergründen Kapitalerträge nicht realisiert werden, sondern im Unternehmen verbleiben. Reichtum sollte also am ehesten in Bezug auf Vermögen definiert werden. Pragmatisch wird die Grenze in aktuellen Studien bei einer Million € angesetzt.
Laut IW-Studie (Institut der deutschen Wirtschaft, Anm. d. Redaktion) liegt der Durchschnittswert der oberen fünf Prozent für das monatliche Netto-Einkommen pro Haushaltsmitglied bei 5.460 €, für das einkommensreichste Prozent liegt er bei 12.760 €. Allerdings berücksichtigt dieser Wert nicht ausreichend Kaufkraftunterschiede, die regional und entlang der Einkommensverteilung gravierend ausfallen können. So betrifft die aktuelle Inflation überproportional Energie- und Lebensmittelpreise und damit ärmere Haushalte. Die oben genannten Durchschnittswerte unterschätzen in der momentanen Krise tendenziell die Ungleichheit in der Kaufkraft.
Den oder die typische Millionär*in gibt es im statistischen Sinne eigentlich nicht. Die reichsten Deutschen haben ein Vermögen im zweistelligen Milliardenbereich, also mehrere Male das Zehntausendfache derjenigen, die mit einem Vermögen im kleinen einstelligen Millionenbereich „nur“ sehr reich sind. Zur Ehrlichkeit gehört aber auch dazu, dass wir wenig über die Vermögensverhältnisse dieser Gruppe wissen, weil es für Deutschland nach Aussetzung der Vermögensteuer kaum offizielle Registerdaten zu Privatvermögen gibt. In Umfragestudien sind die Superreichen nicht erfasst. Das Problem: Selbst, wenn nur wenige Vermögensdaten nicht erfasst werden, verzerrt sich die Schätzung massiv, weil das Vermögen bei den Reichsten der Reichen so unterschiedlich ausfällt. Diesen Effekt haben Mishael Milaković und ich kürzlich für das deutsche Sozio-Ökonomische Panel durchgerechnet.
Die reichsten Deutschen haben ein Vermögen im zweistelligen Milliardenbereich.
Tatsächlich vergleichen sich Menschen tendenziell mit anderen, die über ein ähnliches Einkommen und Vermögen verfügen, zum Beispiel mit Kollegen und Kolleginnen am Arbeitsplatz oder mit den Nachbarn. In der Fachdebatte wird dieses Phänomen als Homophilie bezeichnet: Entscheidend für die Frage, wie reich man sich fühlt, und damit auch für die eigene Lebenszufriedenheit, ist also das relative Einkommen und Vermögen im Vergleich zu den Referenzgruppen. Auch regionale Unterschiede zum Beispiel zwischen Ost- und Westdeutschland sollten immer mitbedacht werden.
Reichtum sollte in Bezug auf Vermögen, nicht auf Einkommen definiert werden. Die Grenze wird in aktuellen Studien bei einer Million Euro angesetzt.
Das Phänomen des sogenannten „middle-class bias“ ist mittlerweile für viele Länder empirisch gut belegt und macht auch vor Spitzenpolitikern wie Friedrich Merz nicht halt, der sich als mutmaßlicher Einkommensmillionär bekanntermaßen als Teil der „gehobenen Mittelschicht“ wähnte. Der Hauptgrund für diese Wahrnehmungsverzerrung liegt in der schon angesprochenen Homophilie. Menschen vergleichen sich mit anderen, die ihnen in Bezug auf Einkommen und Vermögen ähnlich sind. Nehmen sie dieses eigene Umfeld als repräsentativ für die Gesamtgesellschaft an, entsteht in Modellsimulationen exakt der angesprochene „middle-class bias“, wie Daniel Mayerhoffer, Anna Gebhard und ich in unserer Forschung zum Thema „Soziale Vergleiche und wahrgenommene Ungleichheit“ Aufsatz zeigen konnten.
Menschen vergleichen sich mit anderen, die ihnen in Bezug auf Einkommen und Vermögen ähnlich sind. Nehmen sie dieses eigene Umfeld als repräsentativ für die Gesamtgesellschaft an, entsteht der sogenannte „middle-class bias".
Es mag durchaus sein, dass solche Informationen kurzfristig Enttäuschungen nach sich ziehen und entsprechend unzufriedener machen. Sie sind aber gleichzeitig notwendige Bedingung für demokratische Aushandlungsprozesse. Wenn in Gesellschaften wie der deutschen immer noch die Norm vorherrscht, dass man „nicht über Geld spricht“, sind sie sogar häufig die einzige Möglichkeit, die eigene Lage richtig einzuschätzen und sich so informiert am demokratischen Diskurs beteiligen zu können.
Empirisch ist das eine sehr kontroverse Frage, zu der andere Forschende kompetenter Auskunft geben können. Ich möchte hier nur auf eine unterbeleuchtete Funktion von Geld und Vermögen in Bezug auf Glück hinweisen: Je mehr sich der Sozialstaat aus der Daseinsfürsorge zurückzieht, desto wichtiger wird Vermögen, um private Risiken abzusichern. Vermögen ermöglicht also Risikobereitschaft und individuelle Lebensgestaltung – und es lohnt sich schon deshalb, über die gesellschaftliche Verteilung von Vermögen nachzudenken.
Dr. Jan Schulz-Gebhard ist Postdoktorand und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Internationale Wirtschaft der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. In seiner Forschung beschäftigt er sich mit Verteilungsfragen, schwerpunktmäßig mit dem Vermögen der Superreichen und dessen gesellschaftliche Wahrnehmung.
Man unterscheidet zwischen Einkommens- und Vermögensreichtum. Ab einem monatlichen Netto-Einkommen von 3.700 € gehören Singles zu den reichsten zehn Prozent in Deutschland, ab einem Einkommen von 7.190 € zum reichsten ein Prozent. Paare gehören ab einem gemeinsamen Haushalts-Netto-Einkommen von 5.500 € zu den reichsten zehn Prozent, ab 10.790 € zum reichsten ein Prozent der Gesellschaft (Quelle: IW Köln). Mit Blick aufs Vermögen spricht man pragmatisch ab einem Wert von einer Million € von Reichtum.
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Der Begriff Einkommen bezeichnet das Geld, das aufs Konto ein-kommt, also etwa Lohn, Gehalt oder auch Mieteinnahmen oder Tantieme. Unter Vermögen versteht man die Werte, die man bereits hat: Geldvermögen in Form von Bargeld, Sparbüchern, Aktien, Anleihen usw. sowie Sachvermögen wie Immobilien, Rohstoffe, Sammlerobjekte, Firmenanteile oder auch Patente.
Neben einem guten Einkommen ist ein konsequenter Vermögensaufbau entscheidend, denn dieses sichert private Risiken ab. Idealerweise gelingt es, passive Einkommensströme zu generieren, etwa über Aktiendepots oder vermietete Immobilien, um so etwaige Verdienstausfälle auszugleichen. Um finanzielle Unabhängigkeit zu erreichen, sollte man einen genauen Blick auf den eigenen Umgang mit Geld werfen, das eigene Konsumverhalten hinterfragen und überlegen, wie viel Geld man für Investments bereitstellen kann.
Wie reich man sich subjektiv fühlt, hängt von zwei Faktoren ab – vom Vergleich mit dem unmittelbaren Umfeld und von den Lebenshaltungskosten. Die Inflation mindert die Kaufkraft, was unmittelbar die Wahrnehmung von Reichtum beeinflusst.
Geld allein macht nicht glücklich – allerdings zeigen Studien, dass ein komfortables Vermögen die Freiheit bei der Lebensgestaltung erheblich beeinflusst. Damit ist nicht gemeint, dass ein Luxusleben zufriedener macht, aber dass finanzielle Sicherheit individuelle Lebensentscheidungen erleichtert.
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