07.05.2024
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Lohnunterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland?

Jasmin Berger
Jasmin Berger
Gehaltsreport 2024

Gehaltsreport 2024

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Gleiche Verhältnisse in West und Ost? Bei der Bezahlung von Arbeitnehmenden in Deutschland kann davon keine Rede sein, wie der Stepstone Gehaltsreport 2024 zeigt. Noch immer sind Löhne und Gehälter im Osten niedriger – doch es gibt Bewegung, sagt der ehemalige Professor für Volkswirtschaftslehre und heute Senior Economist bei The Stepstone Group, Prof. Dr. Dennis Alexis Valin Dittrich im Interview mit dem Handelsblatt*.

Herr Prof. Dittrich, wenn Sie jungen Menschen auf Basis der Reportdaten einen Tipp geben sollten, welcher wäre das?

Verbringen Sie Ihre Erwerbstätigkeit in Westdeutschland – zumindest mit Blick auf heute. Dort verdienen Sie unabhängig vom Beruf im Median 45.000 Euro pro Jahr, im Osten nur wenig mehr als 37.000 Euro. Aber mit Blick auf die nächsten Jahre kann es jedoch eine spannende Sache sein, in einer Region zu arbeiten, die sich deutlich verändert. Ich sehe sehr viel Wachstumspotenzial im Osten.

Welchen Anteil haben die Metropolregionen an diesem Wachstum?

Einen großen, denn Berlin oder Dresden beispielsweise verzeichnen inklusive Umland zunehmend besserbezahlte Jobs. Diese Regionen profitieren von der Ansiedlung neuer Unternehmen und dem Zuzug qualifizierter Menschen. Im Falle Berlins hat es noch eine andere Veränderung gegeben: Berlin war lange Zeit eine der wenigen Hauptstädte weltweit, in der es ein geringeres Bruttoinlandsprodukt pro Kopf gab als im Durchschnitt des restlichen Landes. Das hat sich normalisiert. Menschen in Berlin erwirtschaften nun mehr als der Durchschnitt.

Sie haben versucht, die Ursachen für das West-Ost-Gefälle bei den Löhnen zu bestimmen. Welche Faktoren machen sich besonders bemerkbar?

Es gibt den Einfluss der regionalen Wirtschaft und den Arbeitsmarkt mit seinem Verhältnis von jungen zu alten Arbeitnehmenden und der Quote der Arbeitssuchenden. Damit lassen sich schon 55 Prozent der Lohnunterschiede zwischen Regionen erklären. Berücksichtigen wir zudem noch die Bildung des einzelnen Arbeitnehmenden, die Unternehmensgröße sowie die Anforderungen der jeweiligen Stelle , können wir 56 Prozent der Abweichungen erklären.

Und die restlichen Abweichungen?

Sie sind auf Basis unserer Daten nicht eindeutig zu erklären. Wenn wir Arbeitnehmende in Ost und West vergleichen und dabei identische Qualifikationen und Wirtschaftsdaten zugrunde legen, sehen wir, dass beispielsweise ein Jahr mehr Berufserfahrung im Westen mehr wert ist oder ein Hochschulabschluss im Osten prozentual zu einer größeren Gehaltssteigerung führt als im Westen. Das sollte eigentlich nicht so sein – und doch zeigen die Daten es sehr genau.

Beobachten Sie Ähnliches bei der Bezahlung von Frauen und Männern?

Wenn wir nur auf das Gehalt von Vollzeitbeschäftigten schauen und andere Faktoren unberücksichtigt lassen, sehen wir, dass Frauen im Westen im Median 13,9 Prozent weniger verdienen als Männer. Im Osten beträgt der Unterschied nur 6,2 Prozent. Wenn wir jedoch strukturelle Unterschiede wie Qualifikation, Tätigkeit oder Anstellungsart rechnerisch egalisieren, sehen wir, dass Frauen bundesweit nur noch 5,5 Prozent  weniger Geld für dieselbe Tätigkeit erhalten als Männer. Die Differenz ist rückläufig, aber weiter vorhanden.

Welche Branchen stechen in Ihrer Auswertung hervor?

Positiv fällt der öffentliche Dienst auf. Hier haben wir im Median nur einen Gehaltsunterschied von rund sechs Prozent zwischen West- und Ostdeutschland. Dasselbe gilt für die IT- und Internetbranche. Große Abweichungen sehen wir im produzierenden Gewerbe, vor allem im Automotive-Bereich oder im Anlagenbau. Da sind West-Ost-Unterschiede von gut 20 Prozent nachweisbar.

Existiert ein West-Ost-Gefälle auch bei der Wertschöpfung?

Ja, wir sehen generell, dass die Wertschöpfung pro Kopf in Westdeutschland 20 Prozent größer ist als im Osten. Das hat unter anderem damit zu tun, dass Unternehmen aus Ostdeutschland erst mit der Wiedervereinigung Zugang zum Weltmarkt erhielten und ihre Marken und Produkte nicht so stark monetarisieren konnten wie West-Unternehmen. Das macht sich bis heute bemerkbar.


Porträt Prof. Dr. Dennis Alexis Valin Dittrich

Prof. Dr. Dennis Alexis Valin Dittrich ist seit 2022 als Senior Economist bei The Stepstone Group tätig. In dieser Rolle führt er angewandte Forschung in den Bereichen Arbeitsmarktökonomie und Datenwissenschaft durch und ist ein Experte für Vergütungsfragen. Insbesondere ist er federführend für die von Stepstone erhobenen Gehaltsdaten verantwortlich, die er wissenschaftlich analysiert und die Grundlage für den jährlichen Stepstone Gehaltsreport bilden. Darüber hinaus berät er intern zu wirtschaftlichen Fragen, quantitativen Methoden und Wirtschaftsethik.
Zuvor war er als Professor für Volkswirtschaftslehre an der Touro University Berlin, der Jacobs Universität Bremen und der Universität Erfurt tätig. In dieser Zeit widmete er sich der Forschung und Lehre in verschiedenen Bereichen der Volkswirtschaftslehre und des Managements, darunter Mikroökonomik, Industrieökonomik, Verhaltensökonomik, Wirtschaftsethik, Finanzen, Ökonometrie, Statistik und Datenwissenschaft. Seine Erdős-Zahl ist 4.


*Dieses Interview wurde ursprünglich im Rahmen des “Work in Progress Briefings” durch die Handelsblatt Media Group in Kurzform veröffentlicht und wird hier mit Genehmigung wiedergegeben.