08.09.2023
Lesedauer: 7 Min.

Arbeitswelt im Wandel – neue Studie untersucht Zukunftsperspektiven

Camille Delorme
Camille Delorme

Inhalt

  • Wechselbereitschaft auf Höchststand
  • Selbstbewusstsein wächst
  • Arbeiterlosigkeit sorgt für Stress
  • Folgen für Arbeitgeber
  • Passendes Personal fehlt
  • KI zu sparsam im Einsatz
Puls Check: Arbeitsmarkt 2023

Puls Check: Arbeitsmarkt 2023

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Wie schätzen die Menschen ihre Chancen in einer Arbeitswelt im Wandel ein? Wie hoch ist die Wechselbereitschaft unter Beschäftigten und wie stark sind sie von den Auswirkungen der Arbeiterlosigkeit betroffen? Wie empfinden Recruiter*innen die aktuelle Situation am Arbeitsmarkt? In welchen Bereichen wird besonders viel neues Personal eingestellt und was sind die größten Recruiting-Herausforderungen?Um diese Fragen zu beantworten, haben wir im Juli 2023 rund 10.000 Personen befragt, darunter auch etwa 2.800 Führungskräfte und HR-Verantwortliche. Das Ergebnis der repräsentativen Studie: Der Wandel zum Arbeitnehmermarkt ist endgültig da.

Die Ergebnisse: Während für Arbeitnehmerinnen aktuell der Wunsch nach beruflicher Veränderung im Vordergrund steht, beklagt ein Großteil der Unternehmen Produktivitätseinbußen und Nachwuchssorgen. Das sind die Pain Points der Arbeitgeber..

Wechselbereitschaft auf neuem Höchststand

Die Lust der Arbeitnehmenden in Deutschland auf einen neuen Job wird immer größer: Ganze 64 Prozent der Befragten denken derzeit mindestens einmal im Monat über eine berufliche Veränderung nach – ein neuer Höchststand. 2022 waren es noch 61, im Jahr 2021 sogar nur 53 Prozent. Absolut nicht bereit für einen Jobwechsel, selbst bei einem guten Angebot, zeigen sich im Jahr 2023 nur noch 8 Prozent der Befragten (2022 waren es noch 15 Prozent).

Dazu sagt The Stepstone Group Arbeitsmarktexperte Dr. Tobias Zimmermann: „Durch den demografischen Wandel werden immer mehr Beschäftigte in Rente gehen und immer weniger Menschen werden anfangen zu arbeiten. Diese Arbeiterlosigkeit spielt Jobsuchenden in die Karten und diese nutzen die Chancen, die sich ihnen bieten – Jobwechsel werden für uns deshalb immer alltäglicher werden. Wir erleben die Arbeitswelt im Wandel.“

Arbeitswelt im Wandel: Selbstbewusstsein der Arbeitnehmer*innen wächst

Die zunehmende Wechselbereitschaft kann erklärt werden durch ein steigendes Selbstbewusstsein der Arbeitnehmer*innen. Sie wissen um ihre gute Verhandlungsposition auf dem Arbeitsmarkt und nutzen diese gezielt für ihr berufliches Fortkommen. In unserer Studie schätzen 44 Prozent der Befragten ihre aktuellen Jobchancen deutlich besser ein als in den vergangenen Jahren. 2020, im Jahr der ersten großflächigen Corona-Lockdowns, waren es noch 17 Prozent. Der flächendeckende Arbeitskräftemangel lässt vor allem Beschäftigte im Personalwesen gelassen in die Zukunft blicken: Sie schätzen ihre Chancen auf der Arbeitswelt im Wandel im nächsten halben Jahr besonders gut ein (61 Prozent). Aber auch Jurist*innen (58 Prozent), Ärzt*innen (55 Prozent) sowie Pflegekräfte (54 Prozent) sind überdurchschnittlich optimistisch.

Auch die Angst, den Job zu verlieren, ist gegenüber den Vorjahren deutlich zurückgegangen. So schätzen nur noch 15 Prozent der Befragten die Wahrscheinlichkeit, im kommenden halben Jahr arbeitslos zu werden, als hoch oder sehr hoch ein; 2020 waren es noch 28 Prozent.

Statistik wie Arbeitnehmer die Chancen auf dem Arbeitsmarkt einschätzen im Vergleich 2020 zu 2023.

Arbeiterlosigkeit sorgt für Stress, Mehrbelastung und sinkende Motivation

Doch auch in anderer Hinsicht kann die Arbeiterlosigkeit dafür verantwortlich sein, dass Arbeitnehmer*innen den Wunsch nach einer neuen beruflichen Perspektive verspüren: Die Rede ist von Stress und Mehrbelastung. Auf die Frage, inwiefern sich unbesetzte Stellen und Fachkräftemangel unmittelbar auf die eigene Stelle auswirken, geben rund 58 Prozent der Befragten an, aufgrund von Personalmangel im Unternehmen unter Stress und Mehrbelastung zu leiden. Mehr als jede*r Zweite, nämlich 53 Prozent, geht dadurch weniger motiviert zur Arbeit. Gar keine Auswirkungen auf den eigenen Job nennen dagegen nur knapp 14 Prozent der Befragten.

Besonders in der Pflege zeigt sich der stärkere Druck im Job: Sieben von zehn Befragten beklagen Stress und erhöhte Belastung durch Personalnot. Auf den Rängen zwei und drei landen Personen des Berufsfeldes Recht sowie Ärzt*innen: Hier berichten jeweils mehr als sechs von zehn Befragten über erhöhten Stress und Überstunden.

Was bedeutet der Wandel der Arbeitswelt für Arbeitgeber?

Der Arbeitskräftemangel setzt Unternehmen in Deutschland weiter massiv unter Druck – und das ungeachtet der schwächelnden Konjunktur. Drei von vier Unternehmen (76 %) melden Einbußen bei ihrer Produktivität, weil Personal fehlt. Das sind ganze 16 Prozentpunkte mehr als vor der Corona-Pandemie. Die höchsten Produktivitäts-Einbußen verzeichnen laut unserer Studie der öffentliche Dienst sowie die Gesundheitsbranche und das Sozialwesen. Hier berichten 88 Prozent (öffentlicher Dienst) bzw. 83 Prozent der Befragten (Gesundheit + Soziales) von Einbußen bei der Bereitstellung ihrer Produkte oder Dienstleistungen. Aber auch der Groß- und Einzelhandel (80 %) muss vielfach Einschnitte verkraften.

Und das, obwohl mehr als ein Drittel aller Unternehmen (36 %) nach eigenen Angaben innerhalb der letzten drei Monate mehr Personal eingestellt haben. Etwa genauso viele (35 %) planen Neueinstellungen in den kommenden drei Monaten. Im öffentlichen Dienst beabsichtigt das sogar fast jeder zweite Arbeitgeber (48 %). Die meisten Mitarbeitenden wurden im 2. Quartal 2023 übrigens in den Bereichen Technik/IT (24,9 %), Vertrieb (21,9 %) und Personalwesen (20 %) eingestellt.

Das passende Personal fehlt

Allerdings stellt auch die Einstellung neuer Mitarbeiter*innen viele Unternehmen vor große Herausforderungen. Fast 90 Prozent der Unternehmen beklagen, dass sie Schwierigkeiten haben, überhaupt geeignete Kandidaten ausfindig zu machen. Neben der Qualität ist auch die Quantität von Arbeitskräften längst zum kritischen Faktor geworden:85 Prozent der Unternehmen geben als große Herausforderung an, nicht genügend Kandidatinnen zu finden. Im Jahr 2020 waren es noch 67 Prozent.

„Diese Zahlen sind alarmierend, sollten uns aber nicht mehr überraschen“, sagt The Stepstone Group Arbeitsmarktexperte Dr. Tobias Zimmermann. Ähnliches legt die Studie nahe. So geben 60 Prozent der Befragten an, den Wettbewerb um die besten Fachkräfte schon länger zu spüren. „Der Mensch ist unangefochten Wettbewerbsfaktor Nummer eins“, so Zimmermann weiter. „Unternehmen, die mit gezielten Maßnahmen zur Gewinnung von Mitarbeitenden und dem Einsatz innovativer Technologien gegensteuern, sichern sich einen langfristigen Vorsprung am Markt, der nur schwer einzuholen sein wird. Genau das muss uns ab jetzt mehrheitlich gelingen. Sonst wird der Arbeitskräftemangel dramatische wirtschaftliche Folgen haben.“

KI noch zu sparsam im Einsatz

Kann der Einsatz von künstlicher Intelligenz ein Weg sein, um dem Produktivitätsdilemma die Stirn zu bieten? In jedem Fall, sagt Tobias Zimmermann: „Langfristig wird es immer weniger Arbeitskräfte geben. Gleichzeitig wird KI den Arbeitsmarkt umwälzen. Wir sollten die Menschen befähigen und weiterbilden, KI dort einzusetzen, wo sie ihnen hilft.“ Die Rede ist also von leistungsstarken Technologien, die mit den menschlichen Fähigkeiten Hand in Hand gehen. Mögliche Einsatzgebiete könnten zum Beispiel zeitaufwändige administrative Tätigkeiten wie die Dokumentation im Pflegebereich sein.

Trotzdem zeigt unsere Studie, dass viele Arbeitgeber das Potenzial neuer Technologien längst noch nicht ausschöpfen. Nicht mal jedes zweite Unternehmen nutzt aktuell künstliche Intelligenz, um Prozesse zu automatisieren. Die Gründe dafür können vielfältig sein: beispielsweise mangelndes Know-how, fehlendes Vertrauen in die neuen Technologien oder schlicht der Mangel an Zeit bzw. Ressourcen, um sich neben dem Tagesgeschäft mit innovativen Themen auseinanderzusetzen. Auch die Angst, KI könne Menschen über kurz oder lang überflüssig machen, spielt sicher vielerorts eine Rolle. Dabei gehe es beim Thema KI nicht ums Ersetzen, sondern schlicht ums Entlasten, betont Zimmermann: „Wir brauchen die Menschen weiterhin gerade in den Bereichen, die nicht automatisiert werden können oder sollen – zum Beispiel in der Pflege oder in der Kinderbetreuung, aber auch in kreativen Bereichen oder bei sozialen Interaktionen. Deshalb ist es umso wichtiger, Prozesse zu automatisieren, um die Menschen zu entlasten.“

Auch bei The Stepstone Group ist längst künstliche Intelligenz im Einsatz, um die Personalsuche zu verbessern und zu beschleunigen. „Wir sehen bereits jetzt die negativen wirtschaftlichen Auswirkungen, wenn Jobs unbesetzt bleiben“, sagt Zimmermann. „Das Matching der richtigen Kandidat*innen mit den passenden Jobs und Unternehmen wird in Zukunft der Spielentscheider werden. Aus diesem Grund investieren wir massiv in intelligente Technologien, die Unternehmen mit dem passenden Jobsuchenden noch schneller zusammenbringen.“