06.02.2023
Lesedauer: 5 Min.

Urlaub verfällt nicht mehr: wichtige Fakten für Arbeitgebende

Camille Delorme
Camille Delorme

Inhalt

  • Wann verfällt Resturlaub?
  • Wann verjährt Urlaub?
  • Urteil zu Resturlaub
  • Folgen für bestehende Arbeitsverhältnisse
  • Verzicht von Arbeitnehmenden
  • Gekündigte Arbeitnehmende
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Das Bundesarbeitsgericht hat kürzlich mit einem überraschenden Paukenschlag entschieden: Urlaub verfällt nicht mehr ohne Weiteres. Personalabteilungen sehen sich nun vielen offenen Fragen ausgesetzt. Alicia von Rosenberg, Berliner Rechtsanwältin mit dem Schwerpunkt Arbeitsrecht, klärt über die wichtigen aktuellen Fragen und Fakten auf, die es jetzt zu wissen gilt.

Bisher waren die Dinge einfach: Urlaub verfiel in der Regel am Ende des Jahres, unter bestimmten Voraussetzungen erst Ende März des Folgejahres. Viele Tarifverträge machten die Fortgeltung bis März zur Regel.

Wann verfällt Resturlaub nach heutiger Rechtslage?

Damit ist nun Schluss. Das Bundesarbeitsgericht hatte bereits vor dem aktuellen Urteil Ende Dezember 2022 entschieden, dass Urlaub nicht mehr ohne Weiteres am Ende des Jahres oder im März verfällt. Dazu kommt es nur noch, wenn das Unternehmen vor dem Stichtag

  • auf den offenen Urlaub hinweist,
  • dessen drohenden Verfall ankündigt
  • und zur Inanspruchnahme des Urlaubs auffordert.

Diese Parameter entnahmen die deutschen Arbeitsrechtler*innen den europarechtlichen Vorgaben.

Wann verjährt Urlaub nach dem neuen Bundesarbeitsgerichts-Urteil?

Für Arbeitgebende, die den strengen Hinweispflichten bisher nicht nachkamen, schien der Schaden zunächst begrenzt. Sie konnten sich – so meinte man – zumindest hinsichtlich längst vergessener Urlaubstage auf Verjährung berufen. Drei Jahre und älterer Resturlaub schien demnach aus der Welt zu sein.
Diesen Schutzwall hat das Bundesarbeitsgericht nun eingerissen. Nach dem neuen Urteil verjährt der Urlaubsanspruch nur noch, wenn das Unternehmen den oben genannten Hinweispflichten nachgekommen ist. Weist die Personalabteilung also nicht auf den drohenden Verfall hin, bleiben den Arbeitnehmenden sämtliche ungenutzten Urlaubsansprüche erhalten.
Das Urteil geht auf eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zurück. Danach muss das Unternehmen die Belegschaft in die Lage versetzen, den Urlaub tatsächlich zu nehmen. Ob dies erst nach einem ausdrücklichen Hinweis der Fall ist, mag bezweifelt werden. Personalabteilungen bleibt aber nichts anderes übrig, als die Entscheidung hinzunehmen.

Resturlaub verfällt nicht mehr. Gilt das Urteil auch rückwirkend für Urlaubstage aus der Zeit vor 2022?

Ja. Hier zeigt sich die Wucht der BAG-Entscheidung. Arbeitnehmende, die schon lange für ein Unternehmen tätig sind, können alle ungenutzten Urlaubstage verwerten – aus sämtlichen Jahren ihrer Beschäftigung. Auch die Klägerin im Verfahren vor dem Bundesarbeitsgericht ging so vor. Sie verlangte Ausgleich für 101 offene Urlaubstage aus der Zeit von 1996 bis 2017.

Welche Folgen hat das Resturlaub-Urteil für bestehende Arbeitsverhältnisse?

Mitarbeitenden stehen sämtliche offenen Urlaubstage aus vergangenen Jahren zu. Dies schlägt insbesondere bei langjährig Beschäftigten zu Buche. Natürlich gelten für die Lage des Urlaubs die gewohnten Regeln: Soweit mit dem Betriebsrat nichts anderes vereinbart ist und keine abweichende betriebliche Übung besteht, entscheidet das Unternehmen über die Lage des jeweiligen Urlaubs. Es hat dabei die Belange der Mitarbeitenden umfangreich zu berücksichtigen.
Der Personalabteilung sei empfohlen, auf die offenen Urlaubstage sowie deren Verfall schnellstmöglich hinzuweisen und zur Nutzung aufzufordern. Nur so sorgen Unternehmen dafür, dass die Ansprüche am Ende des Jahres verfallen. Auf die Verjährung kommt es dann schon gar nicht mehr an. Für die künftig entstehenden Urlaubstage gilt dieser Rat erst recht!

Können Arbeitnehmende zum Verzicht bewegt werden?

Selbst wenn sie wollten, könnten Arbeitnehmende nicht wirksam auf ihren gesetzlichen Urlaubsanspruch verzichten. Möglich ist allenfalls, dass sie von der Geltendmachung des Urlaubs absehen. Eine solche Zusicherung steht aber auf tönernen Füßen und ist nicht verbindlich. Ein Verzicht auf (tarif-)vertraglichen Mehrurlaub ist hingegen unter Umständen möglich.

Gilt die Verjährung des Urlaubsanspruchs für gekündigte Arbeitnehmende?

Viele Arbeitgebende fürchten nun eine Klagewelle ehemaliger Mitarbeitender, die Zahlungen für offene Urlaubstage aus allen Jahren ihrer Beschäftigung verlangen. Ob die Sorge berechtigt ist, wird sich noch zeigen. Die Rechtslage in dieser Frage ist noch offen.
Hintergrund ist, dass der eigentliche Urlaubsanspruch untergeht, sobald das Arbeitsverhältnis endet. Schließlich können Arbeitnehmende nach ihrem Ausscheiden keinen Urlaub mehr nehmen. Ihnen steht nun ein Anspruch auf finanzielle Abgeltung des Resturlaubs zu. Nach bisheriger Rechtslage verjährt dieser nach den gewohnten Regeln, also grundsätzlich nach ca. drei Jahren. In der Praxis deutlich relevanter ist, dass der Anspruch meist einer Ausschlussfrist von wenigen Monaten unterliegt.
Das Bundesarbeitsgericht hat noch nicht entschieden, ob die neue Hinweispflicht etc. auch auf diesen Abgeltungsanspruch anzuwenden sind. Einiges spricht dagegen. So argumentiert der Europäische Gerichtshof, auf den die deutsche Entscheidung zurückgeht, in erster Linie mit dem Gesundheitsschutz der Arbeitnehmenden. Dieser gebiete, dass Urlaub nicht ohne Weiteres verjähre. Beim rein finanziellen Abgeltungsanspruch steht der Gesundheitsschutz allerdings nicht im Fokus.
Dennoch: Es bleibt abzuwarten, bis die Arbeitsgerichte sich zu der Frage äußern. Vorher wird es wohl auch nicht zu einer Klagewelle kommen.

(Stand: Januar 2023)


Porträtbild von Alicia von Rosenberg

Über die Autorin

Alicia von Rosenberg ist Rechtsanwältin für Arbeitsrecht in Berlin. Ihr Schwerpunkt liegt insbesondere beim Thema Kündigungen und entsprechenden Kündigungsschutzklagen. Sie vertritt in diesen Angelegenheiten Arbeitnehmer sowie auch Arbeitgeber. Rechtsanwältin von Rosenberg tritt regelmäßig als Expertin und Kommentatorin aktueller Urteile im Arbeitsrecht auf. Sie ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Arbeitsrecht des Deutschen Anwaltsverein, beim Deutschen Arbeitsgerichtstags und beim Verband der Deutschen Arbeitsrechtsanwälte.