
Altersdiskriminierung junger Menschen: Wenn dem Azubi der Bartwuchs fehlt
Inhalt
- Altersdiskriminierung am Arbeitsplatz ist oft banal
- Diskriminierung minderjähriger Auszubildende
- Folgen der Altersdiskriminierung
- Führungsrolle vs. Elternrolle
- Kündigung als Folge der Altersdiskriminierung
- 6 Tipps für Führungskräfte
Studie: The Age Advantage – Recruiting ohne Altersgrenzen
Download (Deutsch)15 % Rabatt auf alle Online-Produkte.
Altersdiskriminierung trifft auch junge Menschen. Journalistin und KMU-Beraterin Ronja Ebeling ist sich sicher: Besonders jung aussehende Auszubildende werden im Betrieb oft anders behandelt und erleben eine extreme Form von Adultismus. Der Abnabelungsprozess endet nicht selten mit einem Arbeitgeberwechsel – doch das kann verhindert werden.
30 % der Frauen und 21 % der Männer zwischen 21 und 30 Jahre sagen, dass sie aufgrund ihres Alters ungerecht behandelt worden sind.
In der Studie „The Age Advantage: Recruiting ohne Altersgrenzen“ geben wir praktische Handlungsempfehlungen für die Förderung von Altersdiversität im Unternehmen.
Studie: The Age Advantage – Recruiting ohne Altersgrenzen
Download (Deutsch)Altersdiskriminierung am Arbeitsplatz ist oft banal, hat aber schwere Folgen
„Ach, was! Dich hätte ich jetzt auf zwölf Jahre geschätzt.“
Tim ist gerade 16 geworden, hat ein Babyface ohne Bartwuchs und wird auf der Baustelle oft für den Schülerpraktikanten gehalten. „Und du überlegst nach der Schule eine Ausbildung im Handwerk zu machen?“, fragt der Bauleiter. „Ich bin schon im zweiten Lehrjahr“, antwortet Tim dann. Nach seinem Realschulabschluss hat er direkt die Ausbildung zum Anlagenmechaniker im Bereich Sanitär-, Heizungs- und Klimatechnik begonnen, kurz SHK. Und obwohl er mittlerweile schon seit über einem Jahr mitanpackt, wird er häufig in die Rolle des mitlaufenden Schülers gesteckt. Das liegt weniger an seinen Fähigkeiten, sondern vielmehr an seinem schlaksigen Körper und runden Gesicht.
„Ach, was! Dich hätte ich jetzt auf zwölf Jahre geschätzt“, sagt der Bauleiter ungeniert. Der Azubi zwingt sich zu einem freundlichen Lächeln, obwohl ihm der Witz auf seine Kosten nicht gefällt. Denn ja: Altersdiskriminierung junger Menschen gibt es auch.
Minderjährige Auszubildende erleben Diskriminierung aufgrund des Alters
„Die liebe Anna ist etwas schüchtern.“
Junge Menschen, die besonders früh ins Erwerbsleben starten, stehen häufig vor der Herausforderung, dass ihr Aussehen bewertet wird und ihre jugendlichen, zum Teil sogar kindlichen Erscheinungsmerkmale ihnen zum Verhängnis werden. Laut dem Statistischen Bundesamt sind knapp ein Viertel der Auszubildende in Deutschland zu Beginn ihrer Ausbildung noch minderjährig. Dabei befinden sie sich nicht selten noch in einer besonders vulnerablen Phase, in der die körperlichen Veränderungen mit starken Verunsicherungen einhergehen können. Der Azubi, der noch keinen Bartwuchs hat und bei dem der Stimmbruch noch nicht eingesetzt hat. Die sehr schmale Azubine, die starke Akne im Gesicht hat, dadurch verunsichert und vielleicht etwas stiller ist. „Die liebe Anna ist etwas schüchtern“, heißt es dann im Team. Man möchte sie in Watte packen.
Folgen der Altersdiskriminierung junger Menschen

Es gibt leider kaum Forschung zu der Frage, wie sehr ein eher kindliches Erscheinungsbild die Kommunikation in der Ausbildung prägt. Wenn wir uns jedoch andere Studien anschauen, können wir die Zusammenhänge sehr schnell erahnen: So ergeben Untersuchungen der University of California zum Beispiel, dass Männern mit einer tiefen Stimme mehr Vertrauen geschenkt wird und ihnen eher Führungsqualitäten zugesprochen werden. Dementsprechend kann es in der Ausbildung auch passieren, dass dem Azubi mit einer tieferen Stimme mehr zugetraut wird als dem Azubi mit einer hohen Stimme.
„Da sollte dein Chef am Ende aber nochmal drüber schauen.“
Nicht selten werden besonders jung aussehende Auszubildende auch bei Kundenbesuchen nicht für voll genommen und erleben dementsprechend häufig Altersdiskriminierung. Dann heißt es schnell: „Da sollte dein Chef am Ende aber nochmal drüber schauen.“
Die geringe Anerkennung von Kompetenz, das mangelnde Vertrauen, das häufige Belächeln und die ständige Bevormundung machen die tägliche Diskriminierung in der Ausbildung aus.
Das kann am Ende dazu führen, dass sich Jugendliche in der Ausbildung selbst weniger zutrauen, an sich zweifeln und Schwierigkeiten haben, ihre Rolle im Team zu finden. Sie verinnerlichen durch die ständige Diskriminierung und Abwertung, dass ihre Meinung weniger zählt.
Wenn die Führungsrolle mit der Elternrolle verwechselt wird
Am schlimmsten ist es, wenn sie über ihre Ausbildung hinaus in der „Kinderrolle“ gefangen bleiben und sich die Altersdiskriminierung nicht auflöst. Das ist der Fall, wenn die Führungsrolle mit der Elternrolle verwechselt wird. In beiden Fällen tragen Eltern / Führungskräfte die Verantwortung für ihre Kinder/Mitarbeitende. Das Tragen der Verantwortung wird aber noch allzu häufig mit der Entscheidungshoheit verwechselt: Nur weil jemand die Verantwortung trägt, sollte diese Person nicht alle Entscheidungen im Alleingang treffen – schon gar nicht über die junge Person.
Hinderlich in der Beziehungsdynamik ist auch, dass sich Adultismus, also die Diskriminierung von Kindern und Jugendlichen, in unserer Gesellschaft so leicht rechtfertigen lässt. Im elterlichen Kontext zum Beispiel mit Phrasen wie: „Ich will nur das Beste für dich.“ Im beruflichen Kontext kommen Komponenten hinzu wie: „Ich weiß, wie du das am besten lernst. Ich habe die Erfahrung.“ In beiden Fällen wird Macht über die junge Person ausgeübt. Ihre Perspektive spielt eine weniger wichtige Rolle.
Kündigung als Folge der Altersdiskriminierung
Zum gesunden Aufwachsen gehört, dass sich Jugendliche irgendwann von ihren Eltern abnabeln. Nicht selten ist dann der erste Impuls, besonders weit wegzugehen: ein Auslandsjahr in Australien, ein Studium in Berlin. Wenn Führungskräfte zu sehr in der Elternrolle feststecken, erschweren sie den Azubis, die nötige Selbstständigkeit zu erlernen, die nach der Ausbildung von ihnen erwartet wird. Oder aber die jungen Mitarbeitenden haben irgendwann das Bedürfnis, sich vom Betrieb abzunabeln. Der Betriebswechsel geht dann nicht selten auch mit dem Wunsch einher, endlich als erwachsene Person anerkannt zu werden. Die Auszubildenden wollen der Altersdiskriminierung damit entkommen und aus der „Küken“-Rolle rauswachsen.

„Eine faire Arbeitsaufteilung bedeutet auch, dass die unbeliebten Aufgaben nicht einfach immer nur an die Person unter mir abgeschoben werden, weil ich selber keine Lust drauf habe, sondern zu schauen: ‚Was bereitet denn den Leuten, die in meinem Team arbeiten, zum Beispiel auch der Praktikantin oder dem Azubi, wirklich Freude? Wie kann ich es schaffen, dass sie auch die cooleren Aufgaben mitmachen dürfen?‘ Und dann bleiben sie vielleicht auch eher in dem Unternehmen.“
Ronja Ebeling, Buchautorin & Gründerin der Beratungsfirma Team of Tomorrow
Stepstone Snackbar – Der Arbeitsmarkt-Podcast
Generationenkonflikte im Arbeitskontext – wie können wir das verhindern? Wie können Unternehmen es schaffen, dass Jung und Alt effektiv zusammenarbeiten und ihre Stärken einbringen? Und was braucht es im Bildungssystem und seitens der Arbeitswelt, um die Gen Z besser ins Arbeitsumfeld zu integrieren? Darüber sprechen wir mit Autorin, Journalistin und Gründerin der E-Learning-Plattform Team of Tomorrow, Ronja Ebeling.
Maßnahmen gegen Altersdiskriminierung junger Menschen: Sechs Tipps für Führungskräfte
Um minderjährigen Azubis, die im Zweifel auch noch extrem jung aussehen, von Anfang vor Altersdiskriminierung zu schützen, sollten sich Führungskräfte abschließend an folgende Punkte halten:
- Verzichten Sie auf Kommentare über das Aussehen: Insbesondere in reinen Männerteams bekommen junge Auszubildende noch den ein oder anderen Spruch gedrückt. Das ist ein No-Go und sollte von Ihnen als Führungskraft direkt unterbunden werden.
- Geben Sie Auszubildenden den Raum, ihre eigene Erfahrung aufzubauen: Wenn ein Kunde nicht von der 15-jährigen Azubine betreut werden will, sollten Sie als Führungskräfte das Gespräch nicht einfach übernehmen, sondern auf die Expertise der Kollegin in diesem Bereich verweisen. Passiert das nicht, signalisieren Sie sowohl dem Kunden als auch der Azubine, dass sie in der Tat noch nicht bereit für diese Aufgabe ist.
- Holen Sie sich gezielt die Meinungen der Auszubildenden ein: Schätzen Sie die Meinungen der jungen Auszubildenden genauso wert, wie die Meinungen älterer Teammitglieder.
- Balancieren Sie das Verhalten anderer aus: Insbesondere bei Veranstaltungen werden junge Menschen oft wie der Schatten einer Führungskraft behandelt. Das sorgt für Verunsicherung. Als Führungskraft sollten Sie ihre Auszubildende und jungen Mitarbeitenden aus Ihrem eigenen Schatten herausholen: Wenn sich Ihnen jemand auf einer Veranstaltung vorstellt und die Hand reicht, sollten Sie auch ihre begleitenden Auszubildenden vorstellen.
- Sensibilisieren Sie die Belegschaft: Altersdiskriminierung am Arbeitsplatz hat viele Facetten. Um die unterschiedlichen Dimensionen der Diskriminierung zu verdeutlichen, sollten Schulungen oder auch Workshops zu dem Thema stattfinden.
- Hören Sie damit auf, Ihre Auszubildenden zu bevormunden: Als Führungskraft ist es Ihre zentrale Aufgabe, den jungen Mitarbeitenden Selbstwirksamkeit und Eigenverantwortung in Form von Projekten zu geben. Das funktioniert nur, indem Auszubildenden Entwicklungsfreiraum gegeben wird.





