Scheinselbstständigkeit – ein Begriff, der vielen Selbstständigen und Freelancern nicht nur ein mulmiges Gefühl bereitet, sondern der auch echte rechtliche und finanzielle Konsequenzen nach sich ziehen kann. Doch was genau steckt eigentlich hinter diesem Begriff? Wie lässt sich Scheinselbstständigkeit vermeiden? Und worauf solltest du achten, wenn du in Erwägung ziehst, als Selbstständige*r / Freelancer*in zu arbeiten?
In diesem Artikel erfährst du alles Wichtige rund um das Thema Scheinselbstständigkeit, um auf der sicheren Seite zu bleiben.
Scheinselbstständigkeit ist ein Thema, das jede*r Selbstständige und Freelancer*in ernst nehmen sollte.
Von Scheinselbstständigkeit spricht man, wenn Personen formell als Selbstständige/Freelancer gelten, ihre Arbeitsverhältnisse jedoch in Wirklichkeit Merkmale einer abhängigen Beschäftigung aufweisen. Dabei arbeiten sie ähnlich wie Angestellte und sind in Bezug auf ihre soziale Absicherung nicht von diesen zu unterscheiden. Um die Merkmale einer Scheinselbstständigkeit zu erfüllen, kommt es also nicht auf die vertragliche, sondern vielmehr auf die tatsächliche Ausgestaltung des Dienstverhältnisses an. Das bedeutet im Konkreten, dass eine Person zwar formal als eigenverantwortlich arbeitend erscheint, tatsächlich jedoch in eine feste Arbeitsstruktur integriert ist, die den Merkmalen eines klassischen Arbeitsverhältnisses entspricht. In diesem Fall wäre der*die Selbstständige eigentlich sozialversicherungspflichtig, was jedoch häufig nicht berücksichtigt wird.
Die Voraussetzungen für eine Arbeitnehmereigenschaft sind deshalb i.d.R. folgende:
1. Weisungsgebundenheit
Weisungsgebunden ist, wer nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. D.h. ein*e Arbeitnehmer*in ist hinsichtlich Zeit, Ort und Art der Arbeitsausführung weisungsgebunden, was bedeutet, dass der Arbeitgeber festlegt, wann, wie und wo die Arbeit erledigt werden muss.
2. Persönliche Abhängigkeit
Gem. § 611a Abs. 1 S. 4 BGB hängt der Grad der persönlichen Abhängigkeit u.a. von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit ab. Arbeitnehmer tragen nicht das wirtschaftliche Risiko ihrer Tätigkeit und entscheiden nicht über die Höhe ihres Einkommens. Sie haben keine unternehmerische Freiheit.
3. Eingliederung in den Betrieb des Arbeitgebers
Arbeitnehmende sind in die Arbeitsorganisation des Unternehmens eingebunden. D.h. sie arbeiten in den Strukturen des Unternehmens und nutzen dessen Arbeitsmittel, Ressourcen und teilen auch die Unternehmenswerte. Das Arbeitsverhältnis ist i.d.R. auf eine längere Dauer angelegt und nicht auf einzelne Aufträge begrenzt.
4. Vergütung und Sozialversicherungspflicht
Arbeitnehmende erhalten eine regelmäßige Vergütung, die ihnen monatlich jeweils in der gleichen, vertraglich vereinbarten Höhe ausbezahlt wird. Weiterhin unterliegen sie der Pflicht zur Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen (Kranken-, Renten-, Arbeitslosen-, Pflegeversicherung).
Ausgangspunkt war ein Antrag eines Reporters bei der Deutsche Rentenversicherung (DRV), seinen sozialversicherungsrechtlichen Status im Rahmen seiner Tätigkeit für eine Landesrundfunkanstalt feststellen zu lassen. Dieser betrachtete sich als „vollkommen freier Autor“, der selbst entscheiden könne, ob er Beschäftigungsangebote der Anstalt annehme, aber auch „zu einem festen Geldbetrag zu relativ festen Zeiten thematisch enger festgelegt“ zum Einsatz komme. Zudem betonte er, bei der Erstellung von Hörfunkbeiträgen über völlige Gestaltungsfreiheit zu verfügen.
Die DRV stufte den Reporter hingegen als Beschäftigten ein, da er seine Arbeit persönlich und zu vorgegebenen Zeiten ausüben müsse. Diese erfolge im Gebäude der Anstalt in Zusammenarbeit mit Redaktionsmitarbeitern. Zudem habe er Anspruch auf Urlaubsgeld und Lohnfortzahlung im Krankheitsfall – Merkmale, die ihn von Selbständigen unterschieden.
Die Anstalt argumentierte dagegen, der Reporter lasse sich aus freien Stücken für bestimmte Zeiträume verpflichten, in denen ihm Themen vorgegeben würden. Dies führe jedoch nicht zu einer Eingliederung in den Betrieb. Es gebe bei ihr keine festangestellten Hörfunkreporter, sondern lediglich einen festangestellten Redakteur.
Das LSG nahm eine differenzierte Sichtweise ein und unterschied nach der Art der Tätigkeit. Ein Hörfunkreporter sei bei einer Rundfunkanstalt sozialversicherungspflichtig beschäftigt, wenn er im Rahmen von im Voraus vereinbarten, pauschal vergüteten Diensten mit festgelegten Anfangs- und Endzeiten tätig werde. Dies gelte auch, wenn die Tätigkeit einen erheblichen journalistisch-kreativen Eigenanteil aufweise. Demgegenüber bestehe kein Beschäftigungsverhältnis, wenn es um klar abgrenzbare Werke wie Hörfunkbeiträge gehe. In diesen Fällen liege ein Werkvertrag vor. Entgegen des Abgrenzungskataloges der Sozialversicherungsträger sei dabei zwischen den einzelnen Tätigkeiten zu differenzieren. (Quelle: https://landessozialgericht.niedersachsen.de/)
Die folgenden Kriterien stellen (nicht abschließend) die Merkmale eines Selbstständigen/Freelancers denjenigen eines Arbeitnehmers gegenüber. Anhand dieser Gegenüberstellung lassen sich die wesentlichen Anhaltspunkte für eine Scheinselbstständigkeit ableiten:
Selbstständige*r/Freelancer*in | Arbeitnehmer*in | Scheinselbstständigkeit |
|---|---|---|
Hohe unternehmerische Freiheit (Zeiteinteilung, Arbeitsort) | Starke Weisungsgebundenheit (Arbeitszeit, Arbeitsort, Arbeitsweise) | Freelancer*in folgt detaillierten Weisungen des Auftraggebers, obwohl er formal selbstständig ist |
Selbstverantwortlichkeit für die Akquise von Aufträgen und Kunden, trägt unternehmerisches Risiko | Arbeitsorganisation obliegt dem Arbeitgeber | Freelancer*in hat keine oder eingeschränkte unternehmerische Freiheit und arbeitet unter ähnlichen Bedingungen wie Arbeitnehmende |
Keine feste Eingliederung, eigenständige Arbeitsweise, Festlegung der Höhe der Vergütung sowie kein oder nur geringfügiger Einfluss durch den Auftraggeber | Feste Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Unternehmens | Freelancer arbeitet regelmäßig in der gleichen Struktur wie ein Angestellter |
Kann die Arbeit an andere Subunternehmer oder eigene Arbeitnehmer delegieren | Ist gem. § 613 BGB zur Erbringung der persönlichen Arbeitsleistung verpflichtet | Freelancer*in darf keine eigenen Mitarbeiter einsetzen und muss die Arbeit persönlich erbringen |
Vertrag zwischen Freelancer und Auftraggeber (oft projektbezogen), wechselnde Aufträge mit verschiedenen Auftraggebern | Arbeitsvertrag nach § 611a BGB der dauerhafte (wenn auch nur befristete) Beschäftigung und regelmäßiges Entgelt sichert | Vertragliche Gestaltung ähnelt einem Arbeitsvertrag (Achtung: auf die vertragliche Ausgestaltung kommt es im Zweifel nicht an) |
Sachverhalt:
Der „selbstständige“ Grafiker G wurde von dem Unternehmen U mit der Erstellung von Marketingmaterialien beauftragt. G muss seine Arbeiten jedoch regelmäßig gemeinsam mit den Mitarbeitern der internen Marketingabteilung des U durchführen. Seine Arbeitszeiten sind an die üblichen Bürozeiten des U gebunden. Alle Anweisungen zu Design und Ausführung der Projekte erhält G direkt vom Marketingleiter M. Im Krankheitsfall oder bei Urlaubsanfragen meldet sich G ebenfalls bei M, um diese mit ihm abzuklären.
Beurteilung:
Trotz der formellen Selbstständigkeit arbeitet G faktisch in einer Weise, die typische Merkmale eines abhängigen Arbeitsverhältnisses aufweist, was eindeutig auf eine Scheinselbstständigkeit hinweist.
Maßgebliches Prüfkriterium in der Praxis ist also immer die Frage, ob eine Person tatsächlich selbstständig oder nur scheinbar selbstständig ist. Anders ausgedrückt: Handelt es sich um eine*n freie*n Mitarbeiter*in oder um eine*n Arbeitnehmer*in? Die rechtlichen Folgen dieser Einstufung könnten unterschiedlicher nicht sein. Es sind demnach zahlreiche Kriterien zu berücksichtigen, um im Rahmen einer Gesamtbewertung die Selbstständigkeit des Beschäftigten zu beurteilen. Stelle dir also vorher u. a. folgende Fragen:
Mit der Entwicklung innovativer Beschäftigungsmodelle hat die Bedeutung der Vermeidung von Scheinselbstständigkeit zunehmend an Relevanz gewonnen.
Die gute Nachricht: Du kannst einiges tun, um Scheinselbstständigkeit zu vermeiden und auf der sicheren Seite zu bleiben!
Egal, ob der Vertrag von dir oder deinem Auftraggeber erstellt wird, achte auf die vertragliche Ausgestaltung! – Bereits bei der Vertragsgestaltung muss die Zusammenarbeit so ausgestaltet werden, dass sie der einer selbstständigen Beschäftigung entspricht. Achte also darauf, wieweit Inhalt, Ort und Zeit deiner Tätigkeit durch den Auftraggeber konkretisiert werden können. Auch die Höhe deines Honorars ist dabei von Bedeutung. – Tipp: Achte darauf, dass der Vertrag dir so viel Freiheit gibt, wie dir als freiberufliche Person auch zusteht!
Merke: im Zweifel kommt es für die Beurteilung über das Vorliegen einer Scheinselbstständigkeit nicht nur auf die vertragliche Ausgestaltung an. Entsprechend solltest du daher darauf achten, dass auch die tatsächliche Durchführung der Zusammenarbeit einer selbstständigen Beschäftigung entspricht!
Weiterhin bestehen verschiedene sozialversicherungsrechtliche Instrumente, um den Risiken der Scheinselbstständigkeit zu begegnen. Dazu zählen u. a. die Möglichkeit einer Befreiung von der Rentenversicherung für Existenzgründer, eine freiwillige Versicherung oder eine Statuserklärung.
Die Anzahl der Auftraggeber ist ein wichtiger Faktor, um zu beurteilen, ob du als selbstständig oder scheinselbstständig giltst. Ein entscheidendes Kriterium bei der Einschätzung von Scheinselbstständigkeit ist deine wirtschaftliche Unabhängigkeit. Wenn du ausschließlich für einen einzigen Auftraggeber arbeitest und den Großteil deiner Einkünfte von ihm beziehst, kann das als Hinweis auf Scheinselbstständigkeit gewertet werden.
Was ist eigentlich die 5/6-Regelung und was hat das mit Scheinselbstständigkeit zu tun? Die 5/6-Regelung ist eine wichtige Orientierungshilfe, um festzustellen, ob du als arbeitnehmerähnlicher Selbstständiger eingestuft wirst. Sie besagt, dass du als Selbstständige*r nicht mehr als 5/6 deines Umsatzes mit einem einzigen Auftraggeber erwirtschaften darfst, um nicht automatisch der Rentenversicherungspflicht zu unterliegen. Falls du diesen Schwellenwert überschreitest und überwiegend für einen Auftraggeber tätig bist, wirst du als arbeitnehmerähnlicher Selbstständiger betrachtet, was bedeutet, dass du die vollen Rentenbeiträge selbst zahlen musst. Diese Regelung hat mit Scheinselbstständigkeit zu tun, weil eine solche Konstellation den Eindruck erwecken kann, dass du wirtschaftlich von einem einzigen Auftraggeber abhängig bist – was typische Merkmale einer Scheinselbstständigkeit aufweist.
Die Rechtslage ist klar: Wenn du als Selbstständige*r tätig bist und eine echte unternehmerische Freiheit besitzt, bist du in der Regel auf der sicheren Seite. Das bedeutet, dass du eigenständig entscheidest, wie, wann und wo du deine Arbeit erledigst und dass du im besten Fall über mehrere Auftraggeber verfügst.
Auch klar ist, dass Scheinselbstständigkeit illegal ist. Diese führt dazu, dass Sozialversicherungsbeiträge nicht abgeführt werden, obwohl diese aufgrund der tatsächlichen Arbeitsweise fällig wären. Das bedeutet, dass der Auftraggeber in diesem Fall verpflichtet wird, nachträglich die Sozialversicherungsbeiträge abzuführen, inkl. möglicher Nachzahlungen. Auch auf dich kann die Scheinselbstständigkeit erhebliche negative Konsequenzen haben.
Das Vorliegen von Scheinselbstständigkeit kann sowohl für den Auftragnehmer als auch für dich als vermeintlich freien Mitarbeiter*in erhebliche Nachteile mit sich bringen. Der Auftraggeber kann in solchen Fällen Teile der bereits gezahlten Vergütung zurückfordern. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat in seinem Urteil vom 26. Juni 2019 (5 AZR 178/18) die Anforderungen für die Durchsetzung solcher Rückforderungen verringert. Wird der Arbeitnehmerstatus eines als frei Mitarbeitenden tätigen Person rückwirkend festgestellt, gilt dies automatisch auch als Feststellung, dass der Dienstverpflichtete als Arbeitnehmer vergütet werden muss. In diesem Fall besteht kein Rechtsgrund mehr für die ursprünglich vereinbarte Honorarzahlung. Der Arbeitgeber kann daher die Differenz zwischen dem für die freie Mitarbeit gezahlten (meist höheren) Honorar und dem regulären Arbeitnehmerlohn zurückfordern.
Disclaimer: Dies ist keine rechtsverbindliche Auskunft. Die in diesem Artikel veröffentlichten Rechtsgrundlagen wurden sorgfältig zusammengestellt, erheben aber keinen Anspruch auf Aktualität, sachliche Richtigkeit oder Vollständigkeit; eine entsprechende Gewähr wird nicht übernommen. Insbesondere übernimmt The Stepstone Group Deutschland GmbH keinerlei Haftung für eventuelle Schäden oder Konsequenzen, die durch die direkte oder indirekte Nutzung der bereitgestellten Inhalte entstehen.
Um dich vor Scheinselbstständigkeit zu schützen, solltest du bei der Vertragserstellung auf klare Regelungen achten, die deine Selbstständigkeit widerspiegeln. Achte darauf, dass die tatsächliche Durchführung der Arbeit deiner Selbstständigkeit entspricht und du nicht in die Struktur deines Auftraggebers eingebunden bist. Nutze sozialversicherungsrechtliche Optionen wie eine Statusklärung, um rechtliche Unsicherheiten zu vermeiden. Außerdem hilft es, mit mehreren Auftraggebern zu arbeiten, um deine wirtschaftliche Unabhängigkeit zu sichern.
Bestraft wird in der Regel sowohl der Scheinselbstständige selbst als auch der Auftraggeber, da er für die Sozialversicherungsbeiträge aufkommen muss.
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